Das Bild vom kompetenten Kind
Wenn wir Kinder wirklich sehen, verändert sich unsere gesamte pädagogische Arbeit. Es geht nicht darum, was sie noch nicht können, sondern darum, was bereits da ist. Ihre Neugier, ihre Ideen, ihre eigene Art, die Welt zu verstehen. Das Bild vom kompetenten Kind ist keine Methode, sondern eine grundlegende pädagogische Haltung. Sie prägt, wie wir Kinder begleiten, wie wir mit ihnen sprechen und welche Lernräume wir gestalten.
In dieser Haltung verankert, steht die Überzeugung im Zentrum, dass Kinder von Anfang an fähig sind, mit sich und ihrer Umgebung in Beziehung zu treten. Sie sind forschend, aktiv, kreativ und suchen nach Sinn in dem, was sie tun. Kompetenz bedeutet hier nicht, Aufgaben richtig zu lösen, sondern die Fähigkeit, in Resonanz mit der Welt zu gehen, zu beobachten, zu fragen und zu gestalten. Diese Sichtweise erfordert Erwachsene, die zuhören, wahrnehmen und begleiten, statt zu bewerten oder zu lenken.

Bild: KI-generiert mit Gemini (Google).
Haltung als unsichtbarer Kompass
Unsere pädagogische Haltung ist dabei der unsichtbare Kompass unseres Handelns. Sie zeigt sich in jeder Begrüßung, in jeder Beobachtung und in jedem Gespräch. Wir begleiten aufmerksam, ohne zu lenken. Pädagogische Professionalität bedeutet, die Ausdrucksformen der Kinder zu erkennen und ihnen Raum zu geben. Denn Kinder zeigen ihre Kompetenz nicht nur über Worte, sondern in jedem Spiel, jeder Idee und jeder Frage.
Sprache und das Bild vom Kind
Auch Sprache spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie spiegelt unser Bild vom Kind wider sowohl bewusst als auch unbewusst. Ob wir sagen „Das Kind kann das noch nicht“ oder „Das Kind entdeckt gerade etwas Neues“, zeigt, wie wir über Entwicklung denken. Jede Formulierung sendet eine Botschaft über Potential und Zutrauen an das kompetente Kind. Sprache schafft Wirklichkeit. Eine wertschätzende Ausdrucksweise eröffnet Möglichkeiten und unterstützt Kinder darin, ihren eigenen Lernweg zu gestalten und sich selbst als wirksam zu erleben.
Die innere Logik des kompetenten Kindes erkennen
Bezogen auf die Reggio Pädagogik wird die Beobachtung zur pädagogischen Haltung. Wir fragen uns, was das kompetente Kind ausdrücken möchte, statt nur sein Verhalten zu deuten. So entsteht eine Pädagogik, die neugierig, offen und verstehend ist. Kinder handeln nicht zufällig, sie folgen einer inneren Logik, die es zu entdecken gilt. Wer so hinschaut, erkennt die „hundert Sprachen“ der Kinder, ihre vielfältigen Ausdrucksformen, mit denen sie denken, fühlen und gestalten.
Teamreflexion zum Bild vom Kind
Diese pädagogische Haltung braucht stetige Reflexion für sich selbst und im Team. Ein gemeinsames Verständnis vom kompetenten Kind verändert die Teamkultur in der Kita. Gespräche werden offener, Sprache achtsamer und Beobachtungen differenzierter. Statt Defizite zu betonen, wird die Perspektive auf Stärken gelenkt. Aus „Das Kind stört die Gruppe“ wird „Das Kind sucht seinen Platz in der Gemeinschaft.“ Aus „Das Kind hört nicht zu“ wird „Vielleicht braucht es gerade eine andere Ansprache.“ Solche Sätze sind mehr als achtsame Formulierungen, sie sind Ausdruck einer Haltung, die Kinder ernst nimmt und Vertrauen schenkt.
Begleitung durch pädagogische Fachkräfte
Das Bild vom kompetenten Kind fordert uns pädagogische Fachkräfte heraus, unser eigenes Denken kritisch zu reflektieren. Wie sehe ich Kinder wirklich? Wann gelingt es mir, ihre Kompetenz zu erkennen, auch dann, wenn ihr Verhalten mich irritiert? Diese persönliche Auseinandersetzung ist der Schlüssel zur Weiterentwicklung. Solche Fragen halten unsere pädagogische Arbeit lebendig.
Für einen intensiveren Einblick in „Reflexion als fortlaufender Prozess“ und konkrete Anregungen für die Praxis im Team, besuche meine Themenseite im Pädagogik Wiki: Das kompetente Kind.
Kompetenz ist kein Ziel, das Kinder irgendwann erreichen. Sie ist bereits da. Sie ist in jedem Kind, jeden Tag spürbar. Unsere Aufgabe ist es, sie zu sehen, zu stärken und sichtbar zu machen. Wenn uns das gelingt, entsteht eine Pädagogik, die Kinder nicht formt, sondern begleitet und in der Erwachsene ebenso viel lernen wie die Kinder selbst.
